Investoren im Bereich erneuerbare Energien (Windenergie, Photovoltaik, Wasserkraft, Biomasse) verwenden seit inzwischen ca. 25 Jahren FIDIC Vertragswerke für die Vergabe der notwendigen Bau- und Einkaufsleistungen.
Das wirft verschiedene Fragen auf:
- Welches Vertragswerk von FIDIC eignet sich für welche Art der Vergabe?
- Verteilen diese FIDIC Vertragswerke die in derartigen Vorhaben involvierten Risiken sachgerecht?
FIDIC selbst scheint wohl eher nicht zu glauben, dass die bestehenden FIDIC Vertragswerke, wie das FIDIC Red Book, das FIDIC Yellow Book oder das FIDIC Silver Book für solche Zwecke ohne Anpassungen passen, denn seit Ende 2015 wurde darüber spekuliert, ob FIDIC eine Arbeitsgruppe einsetzen wird, um ein neues Vertragswerk für erneuerbare Energien Vorhaben zu entwickeln. Eine entsprechende Umfrage hat dem Vernehmen nach ein derartiges Bedürfnis aufgezeigt. Herausgekommen ist Task Group 14, die es sich zum Ziel gesetzt hatte “Spezielle Bedingungen” für die Nutzung des Yellow Book mit Blick auf erneuerbare Energien [renewable energy projects]. Im FIDIC Jahresbericht 2018 / 2019 sind solche Dokumnete angekündigt worden. Verwertbare Dokumente liegen indes bislang offenkundig nicht vor. Die TG 14 steht Ende 2022 vor einer personellen Neubesetzung.
Eventuell haben die FIDIC Golden Principles (GP) die Arbeit an Besonderen Vertragsbedingungen für Off-shore und Marine Works beeinträchtigt. Jedenfalls für den Offshore Bereich spricht einiges dafür, das gegenwärtige 2017 FIDIC Regelwerk an die konkreten Bedürfnisse anzupassen, z.B. hinsichtlich des offenkundigen Wetterrisikos und anderer Natureinflüsse (Tide, Strömung, Umwelt, Flora und Fauna). Einsetzbare Technologie hängt in hohem Maße von den anzutreffenden Umweltbedingungen und Umweltschutzauflagen ab. Doch es liegt nahe, dass Anpassungen in GP3 eingreifen.
In tatsächlicher Hinsicht müsste ein neues FIDIC Regelwerk wohl vor allem dem Umstand Rechnung tragen, dass die Leistungen für eine Offshore Anlage in der Regel in einzelnen Losen vergeben werden, wodurch sich ein Schnittstellenproblem ergibt, das nicht einfach zu lösen ist. Die Komplexität der notwendigen Leistungen, einschließlich Installation von Windmühlen, Kabelverlegung, Kolkschutz, Umspannstationen, Deicharbeiten etc. erfordert Beachtung. Ferner kommen nautische Aspekte sowie besondere klimatische Bedingungen hinzu.
Die mit Marine Works verbundenen Kosten, werden maßgeblich durch die Verfügbakeit geeigneter Installations- und Arbeitsschiffe bestimmt. Das stellt eine Herausforderung für das Claimmanagement und die Budget- und Zeitsicherheit dar.
Aber bereits in der Vergangenheit wurden FIDIC Vertragswerke entweder in der deutschen Übersetzung oder in englischer Originalsprache abgewandelt für Offshore Projekte und verwendet. Welches Vertragswerk jeweils am besten geeignet wäre, ggf. auch nach Anpassungen, und warum, bedarf vor einer Entscheidung eingehender Erörterung und einer Risikobetrachtung. Eingriffe in die Funktionalität dieser Verträge verbieten sich eher, denn sie sind als “Best Practice Standards” bekannt. “Best Practice” wird mit einem Verfahren oder einer Vorgehensweise verbunden, die im Durchschnitt bessere Ergebnisse zeitigt als dies ohne die Anwendung dieses Standards der Fall wäre. Diese Idee ist aber in Deutschland noch weitgehend unbekannt und wird von Juristen zumeist zugunsten von individuellen Klauseln aufgegeben, um damit vorwiegend mehr Kundefreundlichkeit zu erzeugen. Diese Kundenfreundlichkeit kann auf den zweiten Blick eher nachteilige Folgen auslösen (höhere Kosten bei notwendigen Änderungen, etc.).
In der Praxis wurden in der Vergangenheit aus den Offshore Verträgen vor allem die Regelungen zum FIDIC Ingenieur (siehe Klausel 3 FIDIC Red Book) entweder gestrichen oder stark abgeändert. Das widerspricht den Golden Prinzipien (GP 1), die FIDIC im Jahre 2019 veröffentlicht hat. Teilweise sollte das DAB (seit 2017 DAAB) die weggefallenen Aufgaben kompensieren, so wurde z.B. in der Praxis mit einer einwöchige Frist zur Entscheidungsfindung über Vertragspreisanpassungen nach Anordnung einer Leistungsänderung experimentiert. Das ist offenkundig wenig praktikabel.
Dort, wo Anpassungen und Ergänzungen sinnvoll gewesen wären, sind sie zumeist unterblieben:
- Anpassung des Vertragswerkes an Besonderheiten des Offshore Geschäfts, wie z.B. den Marine Warranty Surveyor (eigentlich eine Einrichtung aus dem Versicherungsrecht) oder in Bezug auf das besondere Wetterrisiko [Erfahrungen mit Einfusnahmen von Versicherungen auf den Bauverlauf existieren im Übrigen seit vielen Jahren in den Ländern, die die französische Décennale-Versicherung einsetzen]
- Unterschätzung des Koordinierungsaufwands bei Verwendung von FIDIC Verträgen nach Einzelgewerken
- Unzureichendes Grundlagenverständnis in Bezug auf die Planungsaufgaben, die Schnittstelle zwischen auftrageberseitigen Vorstellungen und Planungsaufgaben des Unternehmers, und die damit verbundenen Risiken
Veränderungen an FIDIC Verträgen sollten nur vorgenommen werden, wenn ein umfassendes Grundlagenverständnis besteht (sprachlich wie auch konzeptionell und juristisch), Eingriffe in Grundkonzepte (wie z.B. Extension of Time) vermieden werden und die weltweit bestehende Rechtsprechung zu Auslegung und zum Verständnis von FIDIC Formulierungen bekannt sind. Orientierung geben insoweit die FIDIC Golden Principles. Anderenfalls sind Eingriffe fehleranfällig.
Aber auch die Nutzung bereits definierter Management-Tools in FIDIC Verträgen, wie etwa die “Sections” (Abschnitte) wird nicht immer zu Ende gedacht. Sections (FIDIC 1999 Unterklausel 1.1.5.6, FIDIC 2017, Unterklausel 1.1.7.6) werden von FIDIC als in sich abgeschlossene Einheiten betrachtet, die auf der Grundlage eines Bauvertrages abgewickelt werden, aber z.B. eine eigene Bauzeit haben. Werden “Sections” hintereinander ausgeführt, etwa weil der “Kritische Weg” durch das Installationsschiff, Baggerschiff oder Verlegeschiff geht, hat eine Bauzeitverkängerung einer definierten Section A ggf. automatisch Konsequenzen auf B. Das hat FIDIC so nicht vorhergesehen, weil solche Konstellationen onshore eher nicht auftreten. Es müsste also im Offshore oder Marine Works Bereich mit einer zusätzlichen Regelung klargestellt wreden, dass sich das Commencement Date (Datum des Baubeginns) der Section B automatisch nach hinten verschiebt oder verschieben darf. Ein Endfertigstellungstermin für alle Sections verbietet sich, um eventuelle Doppelungen der Delay Damages zu vermeiden.
Zu beachten ist, dass FIDIC im November 2022 sognannte Amendments herausgegeben hat, die ab dem 1. Januar 2023 gelten sollen.
Herr Dr. Hök ist seit ca. 20 Jahren in die Entwicklung des Offshore Geschäfts nach FIDIC Verträge involviert, u.a. als FIDIC Trainer, Berater, Adjudicator. Er war als Dispute Adjudicator (DAB) nach Unterklauseln 20.2 ff. FIDIC (1999) tätig in Bezug auf
- 1x Kabellegervertrag -Offshore Vorhaben Nordsee (Standing DAB)
2x Windanlagenfundamente – Offshore Vorhaben Nordsee (ad hoc DAB) - 1x Windturbinen
- 2x Hafenbauverträge
Ferner war er involviert in Schiffsheuerverträge, Hafenbauverträge (in Pakistan, Mozambique und Vietnam), Schiffsbauverträge, Offshore-Umspannstationen, Horizontal Drilling-Arbeiten, Offshore-Pipeline-Projekte, Offshore-Kabelverlegeprojekte, etc. Dr. Hök hat eine Vielzahl von Windanlagenherstellern sowie Energieunternehmen im In- und Ausland geschult und beraten. Er kennt das Offshore Geschäft aus der Sicht von Planern, Beratenden Ingenieuren, Auftraggebern und Auftragnehmern. Dr. Hök hat zudem die Übersetzung des FIDIC Blue Book, 2. Auflage 2016 (Dredging and Reclamation Works) in die deutsche Sprache begleitet. Seit Mitte 2022 ist Dr. Hök Mitglied der Offshore Task Force der DRBF.
Weitere Referenzen: Photovoltaik Anlage in England, Biomasse Kraftwerke in Deutschland, Wasserkraftanlage in Pakistan, Windkraftanlage in Südafrika, etc.
Veröffentlichungen:
- Hök, FIDIC Verträge im (inter-)nationalen Anlagenbau, ZfBR 2012, 731 ff.
- Hök, FIDIC Verträge im deutschen Umfeld – Theorie und Praxis, ZfBR 2014, 627 ff.
- Hök, FIDIC Golden Principles, ZfBR 2021, 219.
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