Oftmals fragen sich Patienten, ob anlässlich einer Behandlung von dem Arzt alles unternommen wurde, um eine Heilung herbeizuführen und Behandlungsfehler zu vermeiden. Grund hierfür sind Beschwerden, unter denen Patienten seit der Behandlung oder dem Eingriff leiden und die nicht abklingen. Über weitere Anschlussbehandlungen und Heilversuche, auch durch andere Ärzte, vergehen meist Jahre. Wächst dann der Verdacht einer möglichen Arzthaftung fast zur Gewissheit, könnten Ansprüche bereits verjährt sein. Mit der Frage der Verjährung musste sich kürzlich der Bundesgerichtshof befassen.
Anlass für eine Entscheidung des Bundesgerichtshofes war die Auffassung Oberlandesgerichts Bremens zu der Frage, ab wann eine Patientin Kenntnis von Ansprüchen wegen einer fehlerhaften ärztlichen Behandlung hatte und ob Verjährung eingetreten ist. Die Klägerin hatte Ansprüche aus Arzthaftung im Jahr 2007 wegen angeblicher Behandlungsfehler anlässlich der Geburt ihres Kindes im Jahr 1998 gerichtlich geltend gemacht. Das OLG Bremen hatte die Berufung wegen Verjährung zurück gewiesen. Die seit dem 1. Januar 2002 (Art. 229 § 6 Abs. 1 Satz 1, Abs. 4 EGBGB) für den Beginn der Verjährung erforderliche grob fahrlässige Unkenntnis sah das OLG für erfüllt an. Grobe Fahrlässigkeit sei anzunehmen, wenn im Einzelfall einfachste, ganz naheliegende Überlegungen nicht angestellt würden und das außer Acht gelassen werde, was jedem einleuchte. Hier sei zu berücksichtigen gewesen, dass die Klägerin gleich nach der Behandlung im Krankenhaus unter erheblichen Schmerzen und Beschwerden gelitten habe, die ihr tägliches Leben in hohem Maße beeinträchtigten und mit denen sie ständig konfrontiert sei. Trotz zahlreicher ärztlicher Untersuchungen und Behandlungen habe sich keinerlei Besserung eingestellt. Es sei nach Auffassung des OLG offensichtlich gewesen, dass die von der Klägerin geschilderten Beschwerden auch nach einer schweren Geburt keineswegs dem normalen Verlauf entsprochen hätten. Es hätte deshalb auf der Hand gelegen, in den Jahren nach der Entbindung einem der behandelnden Ärzte die Frage zu stellen, ob bei der Behandlung im Krankenhaus ein Fehler unterlaufen sein könnte.
Dieser Auffassung wollte sich der BGH nicht anschließen.
Der BGH hatte mehrfach, noch zu der alten Rechtslage entscheiden, dass die Kenntnis vom Schaden im Sinne des § 852 Absatz 1, Satz 1 BGB alter Fassung (§ 199 Absatz 1 Nr. 2 BGB neuer Fassung) nicht schon dann bejaht werden kann, wenn dem Patienten lediglich der negative Ausgang der ärztlichen Behandlung bekannt ist. Grund hierfür ist, dass das Ausbleiben des Erfolgs einer ärztlichen Behandlung in der Eigenart der Erkrankung oder in der Unzulänglichkeit ärztlicher Bemühungen seinen Grund haben kann. Deshalb muss der Patient wissen, dass sich in dem Misslingen der ärztlichen Tätigkeit das Behandlungs- und nicht das Krankheitsrisiko verwirklicht hat. Es reicht nicht aus, wenn die einzelnen Tätigkeiten des Arztes bekannt sind. Der Patient muss in seinem laienhaften Verständnis verstehen und erkennen, dass der Arzt von dem üblichen ärztlichen Vorgehen abgewichen war oder Maßnahmen nicht getroffen hatte, die nach ärztlichem Standard zur Vermeidung oder Beherrschung von Komplikationen erforderlich gewesen wären. Diese Kenntnis ist nach Ansicht des BGH erst vorhanden, wenn die dem Anspruchsteller bekannten Tatsachen ausreichen, um den Schluss auf ein schuldhaftes Fehlverhalten des Arztes und auf die Ursache dieses Verhaltens für den Schaden bzw. die erforderliche Folgeoperation als naheliegend erscheinen zu lassen. Nur dann wäre dem Geschädigten die Erhebung einer Klage wegen eines Behandlungsfehlers aus Arzthaftung ggf. möglich. Eine Verjährung kann daher vorher nicht eintreten.
Eine rechtsmissbräuchliche Unkenntnis wird der positiven Kenntnis allerdings dann gleichgesetzt, wenn der Geschädigte diese Kenntnis nur deswegen nicht besitzt, weil er vor einer sich ihm ohne Weiteres anbietenden, auf der Hand liegenden Erkenntnismöglichkeit, die weder besondere Kosten noch nennenswerte Mühe verursacht, die Augen verschlossen hat. Diese Rechtsprechung betrifft aber nur Fälle, in denen letztlich das Sichberufen auf die Unkenntnis als Förmelei erscheint, weil jeder andere in der Lage des Geschädigten unter denselben konkreten Umständen die Kenntnis gehabt hätte. Ein Anwendungsfall dieser Rechtsprechung liegt jedoch insbesondere dann nicht vor, wenn der Geschädigte besondere Recherchen hinsichtlich der Schadensursache durchführen müsste. Allein aus den erheblichen Schadensfolgen muss ein Patient nicht auf einen Behandlungsfehler schließen.
Auch in der Frage der grob fahrlässigen Unkenntnis von Behandlungsfehlern im Sinne des § 199 Absatz 1 Nr. 2 BGB erteilte der BGH dem OLG eine Absage. In Arzthaftungssachen ist bei der Prüfung, ob grobe Fahrlässigkeit vorliegt, zugunsten des Patienten zu berücksichtigen, dass dieser nicht ohne Weiteres aus einer Verletzungshandlung, die zu einem Schaden geführt hat, auf einen schuldhaften Behandlungs- oder Aufklärungsfehler zu schließen braucht. Deshalb führt allein der negative Ausgang einer Behandlung ohne weitere sich aufdrängende Anhaltspunkte für ein behandlungsfehlerhaftes Geschehen nicht dazu, dass der Patient zur Vermeidung der Verjährung seiner Ansprüche Initiative zur Aufklärung des Behandlungsgeschehens entfalten müsste. Denn das Ausbleiben des Erfolgs ärztlicher Maßnahmen muss nicht in der Unzulänglichkeit ärztlicher Bemühungen seinen Grund haben, sondern kann schicksalhaft und auf die Eigenart der Erkrankung zurückzuführen sein.
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