I. Einleitung
Die Frage, ob auf eine Gesellschafts- oder auch Genossenschaftsbeteiligung das gesetzliche Widerrufsrecht Anwendung findet, wird in Literatur und Rechtsprechung viel diskutiert. Nicht zuletzt aufgrund der zahlreichen Änderungen, die das Verbraucherschutz- und Widerrufsrecht in den letzten Jahren erfahren hat, verliert die Frage nicht an Aktualität.
II. Widerrufsrecht
Die für den Verbraucher wohl wichtigste Vorschrift der §§ 312 – 312 h BGB ist die über das gesetzliche Widerrufsrecht in § 312 g BGB. Dieses steht dem Verbraucher gegenüber dem Unternehmer bei “außerhalb von Geschäftsräumen geschlossenen Verträgen” (vormals Haustürgeschäfte) und Fernabsatzverträgen zu. Maßgeblich ist nach wie vor, dass der Verbraucher nicht mit dem Auftreten des Unternehmers rechnen musste, so dass er sich bei Vertragsabschluss quasi in einer Überrumpelungssituation befunden hat. In diesem fall kann der Verbraucher seine Erklärung zum Vertragsabschluss innerhalb von zwei Wochen widerrufen. Folge: Er wird so gestellt, als ob er seine Erklärung zum Vertragsschluss nie abgegeben hat. Die Zwei-Wochen-Frist findet Anwendung, soweit der Unternehmer seinen Informationspflichten nachgekommen ist, insbesondere den Verbraucher über sein Widerrufsrecht und die Folgen des Widerrufs richtig belehrt hat. Ist das nicht der Fall, beginnt die Frist nicht zu laufen. Das führte in der Vergangenheit dazu, dass dem Verbraucher ein zeitlich unbegrenztes Widerrufsrecht zustand. Nach Inkrafttreten der Regelungen vom 13.06.2014 ist dies nicht mehr der Fall. Gemäß § 356 Absatz 3, Satz 2 BGB erlischt das Widerrufsrecht spätestens nach 12 Monaten und 14 Tagen. Auch bei unterbliebener oder nicht ordnungsgemäß erfolgter Widerrufsbelehrung.
III. Widerruf der Mitgliedschaft in einer Genossenschaft
1. Beitritt zur Genossenschaft
Der Beitritt zur Genossenschaft beschreibt grundsätzlich ein organisationsrechtliches Geschäft. Per Vorstandsbeschluss wird der neue Genosse nach entsprechender Antragstellung als Mitglied zugelassen. Mit der darauf folgenden Eintragung in die Mitgliederliste entsteht eine wirksame Mitgliedschaft.
2. Gesetzliches Widerrufsrecht beim Beitritt zur Genossenschaft?
Dem Verbraucher steht gemäß § 312 Abs. 1 BGB bei außerhalb von Geschäftsräumen geschlossenen und Fernabsatzverträge, die eine entgeltliche Leistung zum Gegenstand haben (z.B. Vertrieb von Waren oder Dienstleistungen), das gesetzliche Widerrufsrecht des § 312 g BGB zu.
Der Beitritt zu einem Verein oder einer Genossenschaft fällt aber grundsätzlich nicht unter § 312 Abs. 1 BGB. Das gilt auch für sog. verbundene Geschäfte, wenn z. B. die eingezahlten Beiträge durch ein widerrufliches Darlehen finanziert wurden. Im Gegensatz dazu ist der Erwerb einer Beteiligung an einer Anlage- oder Publikumsgesellschaften mit dem Zweck der Kapitalanlage ist nach vorherrschender Meinung jedoch von 312 Abs. 1 BGB erfasst.
Folgende Abgrenzung hat sich in der Rechtsprechung entwickelt: Die §§ 312 ff. BGB finden unter Umständen auch auf den Beitritt zu einer Gesellschaft oder Genossenschaft Anwendung, wenn mit dem Mitglied ein Vertrag über Leistungen abgeschlossen wird, die sich nicht schon rein aufgrund der Mitgliedschaft ergeben. So handelt es sich um einen Vertrag im Sinne von § 312 Abs. 1 BGB, wenn die Mitgliedschaft rein kapitalmäßig ist oder die Gestaltung als Genossenschaft lediglich verdeckt, dass die Erbringung entgeltlicher Leistung vereinbart wird (z.B. Recht auf entgeltliche Nutzung von Ferienwohnung aufgrund Mitgliedschaft in der Genossenschaft).
3. Einräumung eines (vertraglichen) Widerrufsrechts
Ein Widerrufsrecht kann grundsätzlich nicht nur von Gesetzes wegen bestehen, sondern auch vertraglich vereinbart werden. Das Widerrufsrecht ist dann in der Regel als Teil der Allgemeinen Geschäftsbedingungen zu betrachten und zu beurteilen. Im Schrifttum wurde die Ansicht entwickelt, dass durch die Erteilung einer Widerrufsbelehrung an den Vertragspartner, dem nach den gesetzlichen Regelungen kein Widerrufsrecht zusteht, im Zweifel ein vertragliches Widerrufsrecht begründet wird. Das vertragliche Widerrufsrecht muss sich nicht an den strengen gesetzlichen Regeln orientieren. Der BGH hat mit Urteil vom 22.05.2012 festgehalten, dass sich der Inhalt des Widerrufsrechts ausschließlich anhand der vertraglichen Vereinbarung bestimmt. Nach Auffassung des BGH bedarf konkreter Anhaltspunkte dafür, dass ein Unternehmer mehr als nur ein vertragliches Widerrufsrecht einräumen wollte.
IV. Rechtsfolgen des Widerruf
Der Widerruf hat zur Folge, dass alle empfangenen Leistungen gemäß § 355 Abs. 3 BGB unverzüglich zurückzugewähren sind. Diese Vorschrift bildet seit dem 13.06.2014 die Anspruchsgrundlage für die Rückgewährpflicht sowohl des Verbrauchers als auch des Unternehmers. Im Fall der Beendigung der Mitgliedschaft bei einer Genossenschaft, die nicht dem gesetzlichen Leitbild entspricht, kommt es zum Konflikt zwischen Verbraucherschutz und Gesellschaftsrecht, dem Gebot der vollständigen Rückabwicklung und dem Schutz des Bestandes der Gesellschaft, seiner Mitglieder und den Gläubigern. Daher wurden von der Rechtsprechung die “Grundsätze der fehlerhaften Gesellschaft” entwickelt. Danach findet keine Rückabwicklung statt. Vielmehr hat der Verbraucher, der seinen Beitritt zu der Personengesellschaft widerruft, einen Anspruch auf die Berechnung und Auszahlung eines Auseinandersetzungsguthabens. Dessen Wert bemisst sich nach dem Wert seines Anteils zum Zeitpunkt des Ausscheidens.
Der EuGH hat in seinem Urteil vom 15.04.2010 klargestellt, dass der europäischen Verbraucherrichtlinie diese nationale Regel nicht entgegen steht, da sie für eine gerechte Risikoverteilung zwischen den einzelnen Beteiligten sorgen.
V. Informationspflichten, insbes. Widerrufsbelehrung
Die vorvertraglichen Informationspflichten der Genossenschaft gehen grundsätzlich nicht über § 15 Abs. 2 GenG hinaus, der besagt, dass dem Antragsteller vor Abgabe seiner Beitrittserklärung eine Abschrift der aktuellen Satzung zu Verfügung zu stellen ist. Genossenschaften, die dem gesetzlichen Leitbild entsprechen, müssen kein Widerrufsrecht einräumen. Sie können allerdings ein vertragliches Widerrufsrecht vereinbaren, welches sich nicht an den §§ 312 ff BGB orientieren muss.
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