I. Der Justizaufbau in Frankreich
Seit der französischen Revolution existieren in Frankreich zwei Gerichtszweige. Neben der ordentlichen Gerichtsbarkeit besteht die Verwaltungsgerichtsbarkeit. Die ordentliche Gerichtsbarkeit unterteilt sich in Zivil- und Strafgerichte.
Die Zivilgerichte haben die Aufgabe, über Streitigkeiten zwischen Privatpersonen zu entscheiden. Zu diesen gehören die natürlichen und die juristischen Personen. Die Zivilgerichte unterteilen sich wiederum in ordentliche Zivilgerichte und Sondergerichte. Zu den ordentlichen Zivilgerichten erster Instanz gehören das Tribunal de Grand Instance, bestehend aus drei Richtern, einem Vorsitzenden und zwei Beisitzern, sowie dem Tribunal d´instance, einem Gericht, dem nur ein Richter vorsitzt.
Ein Tribunal de Grande Instance findet sich in jedem Département, manchmal finden sich auch mehrere. Ein Tribunal d´Instance existiert ebenfalls in jedem Departement und oftmals auch in den Städten.
Zu den Sondergerichten innerhalb der ordentlichen Gerichtsbarkeit gehören die Handelsgerichte, die über Streitigkeiten zwischen Kaufleuten entscheiden. Sie sind mit sogenannten Juges Consulaires besetzt, die gewählt werden und nicht von professionellen Richtern besetzt sind. Ferner besteht die Arbeitsgerichtsbarkeit, die über Streitigkeiten zwischen Arbeitnehmern und Arbeitgebern entscheidet. Im Grunde genommen sind die Arbeitsgerichte für alle Streitigkeiten zuständig, die sich aus einem Arbeitsvertrag ergeben.
Daneben besteht die Strafgerichtsbarkeit. Das Polizeigericht entscheidet über Verkehrsvergehen, das Tribunal de Correctionnel über unerlaubte Handlungen und schließlich die Cour d´assises über kriminelle Handlungen. Der zweite Gerichtszweig in Frankreich ist die Verwaltungsgerichtsbarkeit. Die Eingangsgerichte sind die “Tribunaux Administrativ”. Der weitere Gerichtszug besteht aus der “Cour Administrativ Appell” und dem Conseil d´États.
II. Der Zivilprozeß
1. Zuständigkeit
Vor dem Eintreten in einem Zivilrechtsstreit muß zunächst das zuständige Gericht ermittelt werden. Es existieren insoweit drei Regeln. Über die Internationale Zuständigkeit entscheiden die Vorschriften des Brüsseler Gerichtsstands- und Vollstreckungsübereinkommens. Sodann muß die sachliche Zuständigkeit geklärt werden und schließlich die örtliche. Für Streitigkeiten, die einen Wert von 50.000,– FF übersteigen, sind die “Tribunaux de Grande Instance” praktisch allzuständig. Sie sind auch zuständig für Streitigkeiten, bei denen der Kläger den Streitwert noch nicht beziffert hat. Das Tribunal de Grande Instance ist ausschließlich zuständig für Klagen, die die Geschäfts- und Handlungsfähigkeit einer Person einerseits und den Personenstand einer Person andererseits betreffen. Als Beispiel seien genannt, die Scheidung und das Sorgerecht der Eltern. In Adoptionssachen, Güterstandsangelegenheiten, aber auch in Erbsachen, in Fragen der Staatsangehörigkeit oder der Pfändung von Immobilien ist das Tribunal de Grande Instance ausschließlich zuständig. In den anderen Fällen kann das Tribunal d´instance angerufen werden. So ist es zum Beispiel zuständig für Streitigkeiten über Kreditverträge, sofern nicht der Kredit selbst im Streite befindlich ist. Ferner ist das Tribunal d´instance zuständig, sobald individuelle Nachbarrechte betroffen sind. Dies ist der Fall bei Klagen, die die Grenzfeststellung betreffen. Die Klärung der sachlichen Zuständigkeit beantwortet allerdings noch nicht die Frage nach der örtlichen Zuständigkeit. Insoweit ist nach der im Streite befindlichen Sache und dem Ort, an dem die Sache streitig ist, zu fragen. Grundsätzlich ist das Gericht am Sitz des Beklagten zuständig. Es existieren allerdings auch andere Zuständigkeiten. Wenn eine Grunddienstbarkeit im Streite befindlich ist oder ein Recht an einem Grundstück festgestellt werden soll, ist das Gericht zuständig, an dem das Grundstück belegen ist.
2. Das Verfahren
Das französische Zivilverfahren ist kontradiktorisch ausgestaltet. Die Parteien disponieren über den Streitstoff. Anders ausgedrückt, beide Parteien erhalten Gelegenheit, sich zur Sache zu äußern. Deshalb muß der Kläger dem Beklagten zunächst die Klageschrift zustellen (l´assignation), und zwar ohne Einschaltung des Gerichts allein durch den Gerichtsvollzieher. Eine zweite Möglichkeit besteht darin, sich mit dem Beklagten auf die Durchführung des Verfahrens zu einigen (requête conjointe). Die Klageschrift enthält die Aufforderung, binnen einen 14 Tagen eine Rechtsanwalt als Zustellungsbevollmächtigten zu benennen. In der Klage ist anzugeben:
- das zuständige Gericht
- der Gegenstand der Klage (l´objet de la demande)
- der Hinweis darauf, daß ggf. auch bei Ausbleiben des Beklagten entschieden werden kann
- Grundbuchdaten der Immobilie, falls diese Streitgegenstand ist
- den Vortrag über die Gründe der Klage
Fehlt eine Angabe, ist die Klageerhebung nichtig (Art. 56 al. 1 C.pr.civ.nouv.).
Wenn das Verfahren vor dem Tribunal de Grande Instance stattfindet, ist die Vertretung durch einen Rechtsanwalt unabdingbar. Hervorzuheben ist, daß die mündliche Verhandlung in Frankreich erheblich größere Bedeutung besitzt als in Deutschland. Es wird nicht vorab votiert, sondern der gesamte Sach- und Streitstand wird erörtert, ohne daß der Richter die Schriftsätze im einzelnen kennt. Es ist deshalb wichtig, einen gut informierten Prozeßvertreter zum Termin zu entsenden.
a. Der Prozeß vor dem Tribunal de Grande Instance
Es sind die Parteien sind, die den Prozeß führen. Nur über den Streitstoff, den sie in den Prozeß einbringen, kann das Gericht entscheiden. Jede Partei muß daher ihren Sachverhalt unter Beweisantritt vortragen, damit sich der Richter eine Überzeugung bilden kann. Hierher rührt die Bedeutung des schriftsätzlichen Vorbringens, das in Wahrheit die Behauptungen und die Darlegungen enthält, die jede Partei einbringen möchte. Die Schriftsätze sind schriftlich einzureichen und werden jeder Partei und dem Gericht zugänglich gemacht. Der Zivilrichter kann nur das zusprechen, was die Parteien beantragt haben.
Es schließt sich die mündliche Verhandlung vor dem Gericht an. Das Verfahren kann auf mehreren Arten betrieben werden. Der Präsident kann entscheiden, daß die Angelegenheit aufgrund der bereits ausgetauschten Schriftsätze und Beweismittel entscheidungsreif ist. Er kann dann eine mündlichen Verhandlung mit dem Ziel des Verkündens einer Entscheidung ansetzen. Er stellt dann sicher, daß der Gegner im Termin anwesend oder vertreten ist. Auch wenn er abwesend ist, kann ein Urteil ergehen. Das Gericht kann auch entscheiden, daß die Angelegenheit nahezu entscheidungsreif ist, daß aber noch Sachvortrag erfolgen muß. Es kann dann ein anderes Datum setzen, damit die Anwälte den fehlenden Sachvortrag nachholen und austauschen können. Schließlich kann das Gericht auch entscheiden, die Angelegenheit auf einen mit der Vorbereitung der mündlichen Verhandlung beauftragten Richter zu übertragen. Der beauftragte Richter hat die Aufgabe, den Prozeßstoff zu untersuchen und die ordentliche Vorbereitung des Prozesses zu kontrollieren. Diese Verfahrensweise eignet sich besonders für schwierige und komplexere Fälle. Der Richter, der mit der Vorbereitung des Verfahrens betraut wird, kann eine Reihe von Anordnungen treffen. Er kann auch ein Prozeßurteil wegen Formmängel fällen oder provisorische oder sichernde Anordnungen treffen, ausgenommen Pfändungen und Hypotheken. Die gerichtlichen Anordnungen können mit dem Rechtsmittel der Kassationsbeschwerde angegriffen werden.
Wenn der mit der Vorbereitung des Prozesses beauftragte Richter (Untersuchungsrichter) nicht durch den Präsidenten des Gerichts beauftragt wurde, kann er die Angelegenheit unverzüglich zur gerichtlichen Entscheidung zulassen. Die mündliche Verhandlung ist öffentlich, außer in speziellen Angelegenheiten, insbesondere in Scheidungs- und Abstammungssachen. Der Präsident des Gerichts leitet die mündliche Verhandlung und gibt den Rechtsanwälten der Parteien nacheinander das Wort. In Abstammungssachen beteiligt sich die Staatsanwaltschaft am Verfahren. Sind die Plädoyers der Parteien abgeschlossen, vertagt sich das Gericht zur Beratung. Dies bedeutet, daß das Urteil zu einem späteren Zeitpunkt gefällt wird.
b. Der Prozeß vor dem Tribunal d´Instance
Vor dem Tribunal d´Instance findet ein vereinfachtes und weniger teures Verfahren statt, als vor dem Tribunal de Grand Instance. Derjenige, der verklagt wird, muß zunächst eine sogenannte “mise en demeure” (Mahnung) durch eingeschriebenen Brief mit Rückschein erhalten. Es ist nicht notwendig, einen Rechtsanwalt zu beauftragen, jedoch wünschenswert, wenn die Angelegenheit schwieriger gelagert ist. Jeder kann seinen Fall persönlich vortragen. Es ist auch möglich, sich durch seine Eltern oder Verwandte aus direkter Linie oder die Eltern und Verwandten aus indirekter Linie bis zum dritten Grad, also Neffen und Nichten eingeschlossen, unterstützen zu lassen. Vor dem Tribunal d´Instance ist das Verfahren mündlich. Es muß daher nicht wie vor dem Tribunal de Grand Instance schriftsätzlich vorgetragen werden. Es muß gleichwohl eine geordnete Verfahrensweise beachtet werden. Die Aufgabe des Richters ist es, die Parteien zu einer Einigung anzuhalten, wenn der Richter entscheidet, daß die Angelegenheit noch nicht sofort entschieden werden kann, kann er die Sache auf einen späteren Zeitpunkt vertragen. Wie vor dem Tribunal de Grand Instance ist das Verfahren kontradiktorisch ausgestaltet. Da die Anwesenheit von Rechtsanwälten nicht zwingend vorgeschrieben ist, kann der Richter die Parteien nach und nach befragen. Die Parteien haben den Prozeßverlauf zu folgen, sich zu entgegenkommend wie möglich zu verhalten und exakt auf die Fragen des Richters zu antworten. Wenn der Richter sich nicht ausreichend aufgeklärt fühlt, kann er ergänzende Anordnungen erlassen. Die Verhandlung wird vertagt und es kommt zu einem späteren Zeitpunkt zu einer weiteren mündlichen Verhandlung. Am Schluß der mündlichen Verhandlung vertagt der Richter die Angelegenheit zur Beratung und verkündet den Tag und den Ort der Verkündung einer Entscheidung.
c. Das gerichtliche Mahnverfahren (procédures d´injonction de payer)
In einfach gelagerten Angelegenheiten, in denen eine Forderung nicht bestritten wird, kann der Gläubiger das gerichtliche Mahnverfahren einleiten. Das Verfahren kann nur wegen kleinerer Beträge, die eindeutig beziffert sind, betrieben werden. Zuständig ist das Tribunal d´Instance. Der Antrag auf Einleitung des gerichtlichen Mahnverfahrens ist zusammen mit den ggf. beizubringenden Beweisen dorthin zu richten. Der Richter prüft den Antrag und gibt ihm entweder statt oder teilweise statt oder er weist ihn zurück. Gibt er dem Antrag statt, erläßt der Richter einen Vollstreckungsbescheid, der durch den Gerichtsvollzieher vollstreckt werden kann, es sei denn, der Schuldner legt innerhalb einer Frist von einem Monat Widerspruch ein.
d. Sicherungsmaßnahmen
Art. 67 und 68 des Gesetzes Nr. 91-650 vom 9. Juli 1991 gestatten besondere Sicherungsvollstreckungsmaßnahmen vor Klageerhebung. Sie gewährleisten eine effektive Forderungssicherung bis zum Abschluß des Hauptsacheverfahrens.
3. Ausländisches Recht
Auch französische Richter wenden ausländisches Recht an. Das ausländische Recht wird wie eine Tatsache behandelt, die in den Prozeß eingeführt werden muß. Wurde das ausländische Recht vereinbart, um das französische auszuschließen, kann ggf. ein Fall der “fraude” vorliegen. Nimmt das französische Gericht “fraude” an, greift es ggf. auf sein heimisches Recht zurück.
III. Die Beteiligten am Zivilprozeß
1. Die Rolle der Gerichtsschreiber (Greffier)
Die Aufgabe der Gerichtsschreiber besteht darin, die verwaltungstechnischen Leistungen des Gerichts zu bewältigen. Die ihm überantworteten Aufgaben sind vielfältig. Sie haben gegenüber der Öffentlichkeit eine Art der Empfangsrolle. Das bedeutet nicht, daß sie Rechtsrat erteilen dürfen und sich an die Stelle von Richtern und Rechtsanwälten setzen dürfen. Sie fertigen aber die Entscheidungen der Justiz ab und archivieren sie. Sie händigen die Ausfertigungen der Urteile an denjenigen aus, der ein entsprechenden Antrag stellt.
2. Die Aufgaben der Gerichtsvollzieher (Huissier)
Die Gerichtsvollzieher verfügen über ein Monopol. Sie allein haben die Befugnis, gerichtliche Schriftstücke zuzustellen und die gerichtlichen Entscheidungen zu vollziehen. Die Ladung wird von dem Gerichtsvollzieher verfaßt. Der Gerichtsvollzieher kann auch zuzustellende Urkunden und amtliche Protokolle verfassen, die im Zivilstreit als Beweismittel dienen können. Einige Gerichtsvollzieher führen den Titel Audienciers (Gerichtsdiener), da sie bei Gericht damit beauftragt sind, die Kommunikation zwischen den Parteien sicherzustellen. Im Gegensatz zum Greffier dürfen die Gerichtsvollzieher Rat erteilen und sich für diesen Rat bezahlen lassen.
3. Die Rechtsanwälte
Die Rechtsanwälte haben zwei Aufgaben, die juristische Beratung und die Prozeßführung. Sie entwerfen diverse Dokumente, wie zum Beispiel Verträge unter Privatleuten (im Gegensatz zu den notariellen Urkunden). Sie verfassen Arbeitsverträge, Kaufverträge, Vereinbarungen zwischen natürlichen und juristischen Personen. Die zweite Aufgabe besteht darin, ihre Mandanten vor den Gerichten zu vertreten. Im Gegensatz zur Staatsanwaltschaft, die damit beauftragt ist, die öffentlichen Interessen zu verteidigen, stellen sie die Verteidigung und die Vertretung von Privatpersonen sicher. Die französische Rechtsanwaltschaft ist in Rechtsanwaltskammern organisiert, denen ein sogenannter “Bâtonier” vorsteht, der durch die Mitglieder der Kammer gewählt wird. Er vertritt den Berufsstand, übt aber darüber hinaus auch disziplinarische Funktionen aus und ist mit Schlichtungsaufgaben betraut. Insoweit ist der Vorstand der Kammer auch dafür zuständig, als Schiedsrichter über Streitigkeiten zwischen Rechtsanwalt und Klient zu entscheiden, z. B. in Honorarangelegenheiten.
Der Rechtsanwalt ist in gewisser Weise der einzige, an den sich der Gerichtsbarkeit Unterworfene wenden kann. Verfügt der Betroffene nicht über die notwendigen finanziellen Mittel, um sich an einen Rechtsanwalt zu wenden, kann ihm ein Rechtsanwalt von Amts wegen beigestellt werden, der über die Prozeßkostenhilfe bezahlt wird. Ein Prozeß wäre nicht wirklich kontradiktorisch, wenn sich eine Partei nicht hinreichend verteidigen kann. Dies ist ein fundamentales Recht. Die Rechtsanwälte und die “conseils juridiques” üben heute ihren Beruf in einem einheitlichen Berufsstand aus. Es sind Spezialisierungen zugelassen. So kann man Fachanwälte für Gesellschaftsrecht und Steuerrecht finden.
Die “Avoué” sind Staatsbedienstete, die das Vertretungsmonopol vor den Appellationsgerichten (Berufungsgerichten) besitzen. Sie erfüllen die Aufgabe der Vertretung, ersetzen aber den Rechtsanwalt als Vortragenden nicht.
IV. Ergänzende Informationen
Für weitere Informationen stehen wir Ihnen gerne zur Verfügung.
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