Die Testierfreiheit genießt in England einen hohen Stellenwert. Der Erblasser ist nicht durch Noterbenrechte eingeschränkt. Die Erben werden auch nicht mit Pflichtteilsansprüchen im Sinne des deutschen Rechts belastet. Nur in Ausnahmefällen ist eine Korrektur der Erblasser-anordnung möglich (vgl. Inheritance Provision for Family and Dependants Act 1975). Die gesetzliche Erbfolge wird durch eine starke Stellung des überlebenden Ehegatten charakterisiert. Das hängt u.a. damit zusammen, daß der überlebende Ehegatte keinen güterrechtlichen Ausgleichsanspruch hat (Gütertrennung).
Der Einstieg in das englische Erbrecht erfolgt über zwei Kernfragen:
(1) Wer erbt? (Frage der “distribution”)
(2) Wie wird der Nachlaß verteilt? (Frage der “administration”)
In der Fragestellung kommt ein wesentlicher Unterschied zum deutschen Recht zum Aus-druck. Mit dem Tode des Erblassers geht der Nachlaß nicht direkt auf die Erben über. Der Nachlaß fällt an den sog. personal representative. Diese Person setzt die Persönlichkeit des Erblassers fort. Sie hat die Stellung eines “trustee”, ist also völlig untechnisch gesagt der Treuhänder des bzw. der Erben. Die begünstigten Personen (also die eigentlichen Erben) hei-ßen ”beneficiaries”.
I. Erbrecht
Testamentarische Erbfolge tritt ein, wenn der Erblasser ein Testament hinterlassen hat. Gesetzliche Erbfolge (intestate succession) tritt ein, wenn kein Testament errichtet wurde oder es nicht wirksam ist.
1. Testamentarische Erbfolge
Der letzte Wille wird im Augenblick des Todes verbindlich, nicht bei seiner Errichtung. Der Erblasser kann aber ausdrücklich etwas anderes verfügen, so daß dann nur über das Vermögen testiert ist, über das er im Zeitpunkt der Testamentserrichtung verfügte. Der Testierende muß geschäftsfähig sein. Das Testament enthält normalerweise eine formale Willenserklärung. Der Wills Act 1837 in der Fassung des Justice Act 1982 beschreibt die Formalitäten wie folgt:
(1) Das Testament muß schriftlich errichtet worden sein. Der Errrichtende muß es unter-schrieben haben. Es kann auch von einer anderen Person unterschrieben werden, wenn der Errichtende bei der Unterschriftsleistung dieser Person anwesend ist und die Unterschrift an-weist. Es muß deutlich sein, daß der Testierende mit seiner Unterschrift dem Testament Wir-kung geben wollte.
(2) Die Unterschrift muß von dem Testierenden bei gleichzeitiger Anwesenheit von zwei oder mehr Zeugen anerkannt werden. Es genügt, wenn er seine Unterschrift in Anwesenheit der Zeugen leistet, hat er dies nicht getan, muß er das Testament in Anwesenheit der Zeugen an-erkennen.
(3) Jeder Zeuge muß entweder das Testament bestätigen und das Testament unterschreiben oder seine Unterschrift in Anwesenheit des Testierenden anerkennen, nicht aber notwendi-gerweise in Anwesenheit anderer Zeugen
Ein Testament ist seinem Wesen nach widerruflich. Ein entgegenstehende Vereinbarung ist unwirksam bzw. der ihr widersprechende Widerruf wirksam. Das Testament kann durch die Errichtung eines neuen Testaments, kraft Gesetzes (z.B. durch Eheschließung nach Testa-mentserrichtung, durch Ehescheidung oder Ehenichtigerklärung) widerrufen werden.
Anders als das schottische und das kontinentaleuropäische Recht sah das englische Recht bis 1938 überhaupt keine gesetzlichen Schranken der Testierfreiheit vor. Der Erblasser konnte sein Vermögen frei an dritte Personen vermachen und seine Kinder sowie seinen Ehegatten vollständig enterben. Inzwischen können bestimmte Personen geltend machen, daß der Wille des Erblassers ”is not as to make reasonable financial provision” (keine vernünftige finanziel-le Anordnung) zugunsten dieser Person enthält. Zu dem berechtigten Personenkreis gehören überlebende Ehegatten, frühere nicht wiederverheiratete Ehegatten, Kinder, Personen, die von dem Erblasser wie Kinder behandelt wurden und Personen, die unmittelbar vor dem Tod von dem Erblasser unterhalten wurden. Seit dem 1. Januar 1996 kann von jeder Person die Klage erhoben werden, die für die gesamte Dauer von zwei Jahren bis unmittelbar zum Tod mit dem Erblasser in einem Haushalt lebte und von jedem Ehegatten (Law Reform (Succession) Act 1995). ”Reasonable financial provision” bedeutet im Falle einer überlebenden Ehefrau alles, was den Unterhalt des Ehegatten sicherstellt.
2. Gesetzliche Erbfolge
Die gesetzliche Erbfolge ist in dem Administration of Estates Act 1925 geregelt. Der Nachlaß fällt zunächst dem ”personal representatives trust for sale” an. Die Konstruktion stellt sicher, daß im Falle einer Erbenmehrheit die Erbteilung erfolgen kann. Die gesetzliche Erbfolgerege-lung beruht auf der Vermutung, daß der Erblasser für den Fall der Testamentserrichtung eine differenzierte Verteilung in Betracht gezogen hätte, und zwar unter Privilegierung bestimmter Verwandtschaftsverhältnisse. Ausgangspunkt ist, daß jeder Erblasser üblicherweise zunächst seine Kinder gleichmäßig bedenken würde und daß er zugunsten seines Ehegatten für die Zeit dessen Überlebens Vorkehrung treffen würde. Mangels Kindern und Ehegatten besteht ein Vermutung zugunsten näherer Verwandter. Fünf Erbgruppen sind im Prinzip voneinander zu unterscheiden:
(1) überlebender Ehegatte
(2) überlebende Kinder
(3) überlebende Eltern
(4) überlebende Brüder oder Schwestern (Vollgeschwister)
(5) überlebende Verwandte geringeren Grades
Zugunsten des überlebenden Ehegatten gilt: Hinterläßt der Erblasser keine Kinder und keine Eltern oder Geschwister, dann ist der überlebende Ehegatte in der Regel Alleinerbe.
Hinterläßt der Erblasser Kinder und einen Ehegatten, dann hat der überlebende Ehegatte seit dem 1. Dezember 1993 (vgl. Statutory Instrument 1993 n° 2906) ein Recht auf 125.000 engl. Pfund (man spricht von einem “statutory legathy”). Sind keine Kinder vorhanden, aber ent-ferntere Verwandte, erhöht sich das Ehegattenanrecht auf 200.000 engl. Pfund. Ist der Nachlaß danach erschöpft, erhalten die Kinder nichts. Hinzu kommt, daß der Ehegatte die sog. “perso-nal chattels” erhält. Hierunter versteht man alle persönlichen Gegenstände, wie Juwelen, Kraftfahrzeuge, Möbel, Briefmarkensammlungen, nicht jedoch Gegenstände, die der Erblasser zur Ausübung seines Berufes benötigte. Ferner erwirbt der Ehegatte die Ehewohnung sowie ggf. die Hälfte der Einnahmen aus dem Nachlaß, der nach Abzug der Begräbniskosten, der Nachlaßverwaltungskosten, der Erbschaftsteuer und der Erblasserschulden verbleibt (sog. residuary estate). Diese Nutznießungsrecht besteht auf Lebenszeit.
Zu den Abkömmlingen rechnen nicht nur die ehelichen Kinder sondern auch die legitimierten Kinder sowie seit 1969 Ehebruchskinder.
Das Erbrecht der Kinder besteht in Höhe des 2. Nachlaßteiles (residuary estate) in Form eines statutory trust. Die Kinder erhalten jedoch ihr Recht nur insofern, als sie das 18. Lebensjahr vollenden oder vorher heiraten. An dem 1. Nachlaßteil, der an den überlebenden Ehegatten fällt, haben die Kinder ein sog. ”equitable interest” (den sog. ”remainder”). Dieses ”interest ist wiederum vererblich.
II. Verwaltung
Die Verwaltung des Nachlasses obliegt dem sog. ”personal representative”. Er hat die Aufga-be, den Nachlaß zu verwerten und den Erlös gemäß den Bestimmungen des trust zu verwalten und zu verteilen. Zwei Arten des ”personal representative” sind zu unterscheiden. Entweder es handelt sich um eine Person, die der Erblasser testamentarisch ernannt hat, dann spricht man von einem ”executor”. Oder man spricht von einem administrator, wenn es der Erblasser un-terlassen hat, einen ”executor” zu benennen. Der ”administrator” wird gerichtlich ernannt.
III. Internationales Erbrecht
In England wird international-privatrechtlich zwischen “administration of estate by the perso-nal representative” und “distribution” unterschieden. Die Verwaltung (administration) umfaßt die Angelegenheiten, die nicht die “distribution” (Verteilung) betreffen und vor ihr erledigt werden müssen. Die Verwaltung schließt namentlich die Bedienung von Verbindlichkeiten des Nachlasses ein. “Distribution” wird generell von der lex rei sitae für Immobilien und der lex domicilii für Mobilien beherrscht (Collier, Conflicts of Law, 268). Fragen der Verwaltung unterliegen dem Recht des Staates, von dem der Verwalter seine Rechtsmacht ableitet (Col-lier, Conflicts of Law, 268). Erhält der Verwalter (personal representative) seine Rechtsmacht von englischen Gerichten, unterliegt seine Tätigkeit dem englischen Recht als der lex fori (Re Wilks [1935] Ch. 645; Re Kehr [1952] Ch. 26). Die englischen Gerichte sind zuständig, um die Verwaltung anzuordnen, wenn der Nachlaßvermögen in England belegen ist. Ergeht eine Anordnung, erstreckt sich die Rechtsmacht des Verwalters auf den gesamten Nachlaß, und zwar auch auf den ausländischen (Collier, Conflicts of Law, 268). Ist die Frage der Verwal-tung des trust geregelt, muß geklärt werden, wer einen Anspruch auf den Nachlaß hat (distri-bution).
Der Wills Act 1963 sieht hinsichtlich der Formgültigkeit eines Testaments sieben Alternati-ven vor. Das Testament kann
(1) der Ortsform genügen
(2) dem Staatsangehörigkeitsrecht des Erblassers genügen
(3) dem Domizilrecht des Erblassers genügen
(4) dem Recht des gewöhnlichen Aufenthaltes des Erblassers genügen
und zwar hinsichtlich zu (2) bis (4) jeweils entweder zum Zeitpunkt der Testamentserrichtung oder zum Zeitpunkt des Todes.
Die englischen Gerichte folgen der sog. ”foreign court doctrin” (vgl. Morris, Conflicts of Laws, 511). Mithin wendet der englische Richter das Recht an, das der ausländische Richter anwenden würde. In England belegene Grundstücke werden mithin nach englischem Recht vererbt, auch wenn der Erblasser sein Domizil im Ausland hat und eine ausländische Staats-angehörigkeit besitzt (vgl. Morris, Conflicts of Laws, 427; Firsching/Graf, Nachlaßrecht, Rn. 2.87). England folgt mithin hinsichtlich des beweglichen und des unbeweglichen Nachlasses grundsätzlich unterschiedlichen Wegen. Unweglicher Nachlaß wird nach der lex rei sitae und bewegliches Vermögen nach dem Erblasserdomizil (domicile) vererbt. Welche Rechte zum unbeweglichen Vermögen gehören, entscheidet die lex situs. Zum unbeweglichen Vermögen rechnet das englische Recht namentlich die Rechte an Grundstücken. Traditionell kennt das englische Recht kein echtes Grundstückseigentum sondern nur ihm angenährte Rechte in Form der sog. “freehold interests” und der ”leasehold interests”.
Da das englische Recht zwischen beweglichem und unbeweglichem Nachlaß unterscheidet und für die Erbfolge in bewegliche Sachen das Domizilprinzip anwendet, während sich die Erbfolge in Liegenschaften nach den Realstatuten richtet, kommt es, wenn unbewegliches Vermögen in England liegt, zu einer Nachlaßspaltung (vgl. Art. 3 Abs. 3 EGBGB). Während für den beweglichen Nachlaß bei einem in Deutschland ansässigen Deutschen deutsches Recht gilt, kommt hinsichtlich des unbeweglichen Vermögens englisches Recht zur Anwen-dung, weil sich das englische internationale Erbrecht für unbewegliche Sachen zum Grundsatz der lex rei sitae bekennt (vgl. zu ähnlichen Fällen BGHZ 50, 63, 64ff; BayObLGZ 1971, 34, 37). Dieses Ergebnis wird in England zwar kritisiert (vgl. Morris, Conflicts of Law, 427 f.), aber respektiert (Re Collens [1986] Ch. 505).
Hinterläßt ein britischer Erblasser dagegen Grundvermögen in Deutschland, richtet sich so-wohl die gesetzliche als auch die gewillkürte Erbfolge nach deutschem Recht (lex rei sitae). Im Falle von beweglichem Vermögen gilt das Recht seines letzten Domizils. Soweit deutsches Recht zur Anwendung kommt, ist ein (territorial und gegenständlich beschränkter) Eigen-rechtserbschein nach BGB § 2353 zu erteilen (OLG Zweibrücken IPRspr 1994, Nr 124, 271-272).
Die Nachlaßspaltung führt rechtlich kommt rechtlich durch eine Teilverweisung auf ein oder mehrere in- bzw. ausländische Rechte zustande. Sie führt insoweit zu einem Nebeneinander mehrerer Erbstatute. Die wirtschaftliche Vermögenseinheit zerfällt in verschiedene rechtlich eigenständig zu beurteilende Nachlässe, mit der Konsequenz der selbstständigen Erbfolge. Jede Erbmasse ist nach der für sie geltenden Rechtsordnung zu behandeln ( BGHZ 24, 352; Ferid/Firsching/Lichtenberger, Internationales Erbrecht II, Rn. 51). Der BGH ( BGHZ 9, 151, 154 ) hat in einem Fall der interzonales Währungsrecht betraf ausgeführt: ” Der Nachlass wird auch internationalrechtlich als Einheit behandelt. Nach dem maßgebenden Erbstatut richtet sich nicht nur die Nachfolge in die Nachlassrechte, sondern grundsätzlich auch die Haftung der Erben für die Nachlassverbindlichkeiten und nicht zuletzt das Pflichtteilsrecht der Ver-wandten und des Ehegatten.”
In deutsch-englischen Fällen führt die Nachlaßspaltung zwangsläufig zu einer starken Bevorzugung des überlebenden Ehegatten, der von dem statutory leagthy in Höhe 125.000 engl. Pfund profitiert.
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