Das Jahr 2000 war für die Entwicklung der justitiellen Zusammenarbeit in Europa bahnbrechend und voller Neuerungen. Ursprünglich war das Internationale Verfahrensrecht mangels eigener Rechtssetzungskompetenz der Brüsseler Organe der Regelung durch Staatsverträge vorbehalten. Das Europäische Zivilverfahrensrecht ruhte auf zwei Konventionen, nämlich dem Brüsseler Gerichtsstands- und Vollstreckungsübereinkommen und dem Luganer Gerichtsstands- und Vollstreckungsübereinkommen. Ergänzend war das Haager Zustellungsabkommen heranzuziehen.
Seit Inkrafttreten der Amsterdamer Verträge darf die EU darf im Bereich der „justiziellen Zusammenarbeit in Zivilsachen” (Art. 61 lit. c EGV) Maßnahmen im Zusammenhang mit der Anerkennung und Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen (Art. 65 lit. a EGV), zur Vermeidung von Kompetenzkonflikten (Art. 65 lit. b EGV) sowie zur Förderung der Vereinbarkeit des mitgliedstaatlichen Zivilverfahrensrechts (Art. 65 lit. c EGV) erlassen. Voraussetzung ist, dass die betroffenen Zivilsachen einen grenzüberschreitenden Bezug aufweisen. Ferner müssen die Maßnahmen für das „reibungslose Funktionieren des Binnenmarktes erforderlich sein.
Damit brachte der Vertrag von Amsterdam die in Brüssel herbeigesehnte Rechtssetzungskompetenz und ermöglichte eine wahre Regelungsflut, die das internationale oder grenzüberschreitende Verfahrensrecht allerdings nicht unbedingt vereinfacht:
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Verordnung (EG) Nr. 244/2001 des Rates vom 22. Dezember 2000 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen (EuGVVO-Brüssel I), in Kraft ab dem 1. März 2002; zuletzt geändert durch Verordnung Nr. 1103/2008 vom 22.10.2008 m.W.v. 4.12.2008
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Verordnung (EG) Nr. 1347/2000 des Rates vom 29.Mai 2000 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Ehesachen und in Verfahren betreffend die elterliche Verantwortung für die gemeinsamen Kinder der Ehegatten (Brüssel II), in Kraft ab dem 1. März 2001
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Verordnung (EG) Nr. 1346/2000 des Rates vom 29. Mai 2000 über Insolvenzverfahren, in Kraft ab dem 31.Mai 2002
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Verordnung (EG) Nr. 1348/2000 des Rates vom 29. Mai 2000 über die Zustellung gerichtlicher und aussergerichtlicher Schriftstücke in Zivil- oder Handelssachen in den Mitgliedstaaten, in Kraft ab dem 31.Mai 2001
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Verordnung (EG) Nr. 1896/2006 (Europäisches Mahnverfahren)
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Verordnung (EG) Nr. 805/2004 (Europäischer Vollstreckungstitel)
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Verordnung (EG) Nr. 861/2007 (Europäisches Verfahren über geringfügige Forderungen)
Die vorstehenden Verordnungen bilden die Grundlage für die internationale und grenzüberschreitende Forderungsbeitreibung in der Europäischen Union und haben auch Auswirkungen auf den grenzüberschreitenden Rechtsverkehr mit Drittstaaten. Die Besonderheiten der grenzüberschreitenden Prozessführung sind damit aber noch lange nicht vollständig harmonisiert. Viele wichtige Aspekte, wie z.B. die Fragen des anwendbaren Rechts und seiner Ermittlung sind entweder der Regelung durch nationale oder andere europäische Regelungsinstrumente vorbehalten. Die Europäische Union hat sich jedoch die Schaffung eines Raums der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts zum Ziel gesetzt. Für ein reibungsloses Funktionieren des Binnenmarktes sind aus Sicht der Europäischen Union erforderlich:
effiziente und wirksame grenzüberschreitende Insolvenzverfahren | |
der freie Verkehr der Entscheidungen in Zivilsachen | |
die Verbesserung und Beschleunigung der Übermittlung gerichtlicher und aussergerichtlicher Schriftstücke in Zivil-oder Handelssachen, die in einem anderen Mitgliedstaat zugestellt werden sollen |
Die Brüssel I-Verordnung (abgekürzt EuGVVO) ersetzt das Brüsseler Gerichtsstands- und Vollstreckungsübereinkommen in Zivil- und Handelssachen und schafft einheitliche Zuständigkeitsvorschriften und ein vereinfachtes Vollstreckbarerklärungsverfahren, das gegenüber dem Brüsseler Gerichtsstands- und Vollstreckungsübereinkommen von 1968 schneller und einfacher ausgestaltet ist. Ursprünglich galt die Verordnung Brüssel I nicht für Dänemark. Dänemark hat allerdings mit der EU am 19. Oktober 2005 völkerrechtlich vereinbart (ABl. Nr. L 299 vom 16. November 2005, 62), dass die EuGVVO auch für und im Verhältnis zu Dänemark Anwendung finden soll. Das entsprechende Abkommen ist am 1. Juli 2007 in Kraft getreten (ABl. Nr. L 94 vom 4. April 2007, 70).
Die Brüssel II-Verordnung enthält Bestimmungen, die die Vorschriften über die internationale Zuständigkeit in Ehesachen und in Verfahren über die elterliche Verantwortung zur vereinheitlichen und die Formalitäten im Hinblick auf eine rasche und unkomplizierte Anerkennung von Entscheidungen und deren Vollstreckung vereinfachen. Die Brüssel-II-Verordnung vom 29. Mai 2000 gilt für Zivilverfahren betreffend die Scheidung, die Trennung ohne Auflösung des Ehebandes oder die Ungültigerklärung einer Ehe, sowie für Zivilverfahren betreffend die elterliche Verantwortung für die gemeinsamen Kinder der Ehegatten im Zusammenhang mit Ebenfalls zu behandeln wäre die Frage der Folgen der Trennung den vorgenannten Ehesachen.
Die Verordnung vom 29. Mai 2000 über Insolvenzverfahren gilt für Gesamtverfahren, welche die Insolvenz des Schuldners voraussetzen und den vollständigen oder teilweisen Vermögensbeschlag gegen den Schuldner sowie die Bestellung eines Verwalters zur Folge haben. Die Insolvenzverordnung schafft in einem gemeinschaftlichen Rechtsakt eine Koordinierung der Massnahmen in bezug auf das Vermögen eines zahlungsunfähigen Schuldners. Im Interesse eines ordnungsgemässen Funktionierens des Binnenmarktes soll verhindert werden, dass es für die Parteien vorteilhafter ist, Vermögensgegenstände oder Rechtsstreitigkeiten von einem Mitgliedstaat in einen anderen zu verlagern, um auf diese Weise eine verbesserte Rechtsstellung anzustreben (sog. “forum shopping”).
Die Zustellungs-Verordnung verbessert und beschleunigt die grenzüberschreitende Zustellung gerichtlicher Schriftstücke und ergänzt damit die Verordnungen Brüssel I und Brüssel II in einem zentralen Punkt.
Die übrigen vorstehend genannten Verordnungen schaffen vereinfachte Möglichkeiten zur Forderungsbeitreibung im grenzüberschreitenden Verkehr. Vollstreckungstitel, die in diesen Verfahren ergehen, sind im europäischen Vollstreckungsstaat unmittelbar und ohne weitere Vollstreckbarerklärungsverfahren vollstreckbar. Das betrifft den Europäischen Vollstreckungstitel, den Vollstreckungsbescheid im Europäischen Mahnverfahren und den Vollstreckungstitel im Verfahren über geringfügige Forderungen.
Trotzdem bleibt auch weiterhin eine Reihe von zentralen Aspekten ungeregelt. Nicht erfasst und von allen zwischen den Mitgliedstaaten geltenden Rechtsinstrumenten ausgeschlossen sind
bestimmte Aspekte von Scheidungssachen oder der Trennung ohne Auflösung des Ehebandes, die nicht unter die Brüssel-II-Verordnung fallen (insbesondere Entscheidungen über die elterliche Verantwortung, mit denen die bei der Scheidung oder der Trennung ohne Auflösung des Ehebandes ergangenen Entscheidungen geändert werden), | |
außerehelich entstandene Familienstände, | |
das Erb- und Testamentsrecht. |
Güterstands- und Erbrechtssachen bleiben aus der Brüssel II Verordnung ausgenommen. Es liegt aber auf der Hand, dass die wirtschaftlichen Folgen, die die Entscheidungen im Zusammenhang mit der Lockerung oder der Auflösung des Ehebandes zu Lebzeiten der Ehegatten oder beim Tod eines der Ehegatten zeitigen, für die Verwirklichung des europäischen Rechtsraums von großer Bedeutung sind. Auch die rechtlichen Probleme im Zusammenhang mit Paaren, die ohne Trauschein zusammenleben und die ansteigende Zahl der unehelichen Kinder sind unbewältigt. Insoweit existiert bereits ein Maßnahmenkatalog. Das Ziel der Kommission ist es, das Exequaturverfahren (ein förmliches Verfahren, das der eigentlichen Vollstreckung vorgeschaltet wird) gänzlich abzuschaffen.
Das Gesetz zur Ausführung zwischenstaatlicher Verträge und zur Durchführung von VERORDNUNGEN der Europäischen Gemeinschaft auf dem Gebiet der Anerkennung und Vollstreckung in Zivil- und Handelssachen (Artikel 1 des Gesetzes zur Änderung von Vorschriften auf dem Gebiet der Anerkennung und Vollstreckung ausländischer Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen) -Anerkennungs- und Vollstreckungsausführungsgesetz (AVAG)- ist gemäss Art. 3 Satz 1 Gesetz v. 19.2.2001, BGBl 2001 I, 288 am 1.3.2001 in Kraft getreten. Es wurde durch Gesetz vom 30. Januar 2002 wegen des Inkraftretens der Brüssel I Verordnung erneut geändert (BGBl 2002 I, 564), in Kraft getreten am 1. März 2002. Die vorläufig letzte Fassung hat das AVAG in 2008 erfahren, geändert durch Artikel 4 des Gesetzes vom 10. Dezember 2008 (BGBl. I S. 2399).
Das Grünbuch und der dazugehörige Bericht [KOM(2009) 174] haben Konsultation über mögliche Änderungen der Europäischen Gerichtsstands- und Vollstreckungsverordnung [EuGVVO / „Brüssel I” /(EG) Nr. 44/2001] eröffnet. Daraufhin hat die Europäische Kommission Ende 2010 einen Vorschlag zur Neufassung der Verordnung über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen (KOM(2010)748 endgültig) (Brüssel-I-Verordnung) vorgelegt. ZU den wichtigsten Kernpunkten des Neuregelungsvorschlags (KOM 2010/748, abrufbar unter https://ec.europa.eu/info/policies/justice-and-fundamental-rights_en) gehören die Abschaffung des Exequaturverfahrens, die Einführung eines einheitlichen Verbrauchergerichtsstands und Regeln zur Schiedsgerichtsbarkeit.
Herr Dr. Hök hält regelmäßig Vorträge über die Möglichkeiten der grenzüberschreitenden Forderungsbeitreibung und Vollstreckung. Auf die Besonderheiten im Baugewerbe gehen andere Beiträge auf dieser Homepage ein.
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