1. In Belgien hat sich eine eigene Praxis zur Bankgarantien herausgebildet:

Der Begriff Garantie auf erstes Anfordern ist spezifisch, um eine bankrechtliches Institut zu bezeichnen, das von der kaufmännischen Praxis erfunden wurde und speziell in internationalen Verträgen genutzt wird. Die Garantie auf erstes Anfordern muss, um wirksam zu sein, autonom, abstrakt und unbedingt sein. Mit diesen Anforderungen ist der Wortlaut einer Garantie nicht unvereinbar, die folgende Formulierung enthält: Wir zahlen auf die erste schriftliche Anforderung (“nous payerons à la première demande écrite”). Die Abstraktheit besteht darin, dass die Garantie auf Anfordern des Begünstigten geschuldet wird, wenn die abschließend enumerativ in der Garantie genannten Bedingungen erfüllt sind, und dies, ohne dass der Garant gehalten ist, die Rechte der Parteien vertieft zu untersuchen (CA Bruxelles, 03.04.1987, PAS. 1987 II, 140).

Um zu bestimmen, ob ein Bankengagement aus einer Bürgschaft oder einer Garantie auf erstes Anfordern entstammt, ist es erforderlich daran zu erinnern, das eine Garantie auf erstes Anfordern unabhängig von der garantierten Forderung besteht, und zwar in Bezug auf ihre Existenz wie in Bezug auf ihre Erfüllung, während die Bürgschaft, die mit einem Hauptvertrag akzessorisch verbunden ist, einen subsidiären Charakter in dem Sinne hat, dass der Bürge nur dann aufgerufen ist, tätig zu werden, wenn die Möglichkeiten den Hauptschuldner in Anspruch zu nehmen, erschöpft sind (CA Liège, 28.06.1991, Pas. 1991 II, 179).

Die Verpflichtung, die die Bank im Rahmen einer Garantie auf erstes Anfordern eingeht, wird durch ihren autonomen und abstrakten Charakter charakterisiert. Diese Verpflichtung ist von der Beziehung zwischen der Bank und dem Garantieverpflichteten (Deckungsverhältnis) und der Beziehung zwischen dem Garantieverpflichteten und dem Begünstigten (Valutaverhältnis) abgekoppelt, was impliziert, dass sie nicht auf der Grundlage von Mängeln oder Ausnahmen aus diesen Verhältnissen in Frage gestellt werden kann. Die Bank kann sich also damit begnügen, eine formelle Prüfung der Ordnungsmäßigkeit der Anforderung auf der Grundlage der in der Garantie genannten Bedingungen vorzunehmen (CA Bruxelles, 07.06.1995, Le Droit des Affaires – Het Ondernemingsrecht 1995, 74).

Der unbedingte Charakter der Garantie auf erstes Anfordern impliziert die Unabhängigkeit der Verpflichtung des Garanten im Verhältnis zu den Risken, die den Abschluss oder die Erfüllung eines Werkvertrages betreffen, auf dessen Grundlage die Garantie begeben wurde. Der Begünstigte darf bei dem Rückgriff auf den Garanten nicht einem Einwand oder einer Verteidigung ausgesetzt sein, die aus den vertraglichen Beziehungen zwischen dem Garanten und dem Garantiegeber resultieren. Das betrifft auch das Verhältnis zwischen dem Bauherrn und dem Auftragnehmer, es sei denn es kann der Beweis erbracht werden, dass die Garantieanforderung evident missbräuchlich gestellt wird (CA Bruxelles, 18.12.1981, JT 1982, 358).

Mithin kommt eine Garantie auf erstes Anfordern nur zustande, wenn (Flamme/Flamme/Delvaux/Pottier, Contrat d´entreprise 1990-2000, Rn. 179; Romain, Principes d´interprétation et de qualification des garanties indépendantes `première demande, R.G.D.C. 1989, 429 ff. ; CA Liège, 08.06.1999, J.L.M.B. 2000, 1680) :

  • sich die Verpflichtung der garantierenden Bank ausschließlich aus der Garantieerklärung ergibt
  • die Garantieerklärung keine inhaltliche Überprüfung der Zahlungsanforderung zulässt
  • die Garantieerklärung keine Verweisung auf das Recht der Bürgschaft enthält
  • der Verweis auf das zugrunde liegende Rechtsverhältnis „einfach“ ist, d.h. wenn lediglich auf das Rechtsverhältnis verwiesen wird, ohne dass die sich daraus ergebenden Verpflichtungen beschrieben oder zitiert werden

Enthält eine Garantieerklärung die Formulierung, wonach jede Anforderung durch eingeschriebenen Brief und zu den angegebenen Daten zu erfolgen hat, und heißt es in der Garantie weiter, dass entweder die schriftliche Einwilligung des Garantiegebers oder die beglaubigte Kopie eines unanfechtbaren Urteils, das den Garantiegeber zur Zahlung verurteilt, vorzulegen ist, spricht dies noch nicht gegen eine autonome Garantie, wenn sich aus dem Wortlaut der Garantieerklärung ergibt, dass die Verpflichtung des Garanten unabhängig von dem zugrunde liegenden Geschäft zwischen Garantiegeber und Garantiebegünstigtem besteht (CA Bruxelles, 14.02.2000, DAOR 2000, 269). Allerdings diente diese Begründung dem erkennenden Gericht im Ergebnis dazu, die Inanspruchnahme der Garantie zu verneinen, weil der Garantienehmer weder die schriftliche Einwilligung noch ein Urteil vorlegen konnte, nachdem der Garantiegeber in Insolvenz gefallen war und der Garantienehmer den Vertrag mit dem Garantiegeber gekündigt und die Leistungen bereits an ein drittes Unternehmen vergeben hatte (vgl. dazu eingehend Flamme/Flamme/Delvaux/Pottier, Contrat d´entreprise 1990-2000, Rn. 181, 182). Die h.M. in der belgischen Literatur vertritt denn auch die Auffassung, dass im vorstehenden Fall von einer Bürgschaft auszugehen sei (Delierneux, La pratique des garanties à première demande in: L´actualité des garanties à première demande, Brüssel 1997, 36; Romain, Principes d´interprétation et de qualification des garanties indépendantes `première demande, R.G.D.C. 1989, 429, 440; vgl. auch Lewalle, Garantie-Commentaire de l´arrêt rendu le 14 fèvrier 2000 par la Cour d´Appel de Bruxelles, D.A.O.R. 2000-2001, 13; Flamme/Flamme/Delvaux/Pottier, Contrat d´entreprise 1990-2000, Rn. 182).

Wird in der Garantieerklärung der Begriff “solidairement” (ex.: nous nous portons garants solidaires”) verwendet, kommen Zweifel am Garantiecharakter der Erklärung auf und es kommt eine Umdeutung in eine Bürgschaft in Betracht. Das Handelsgericht Brüssel hat in diesem Sinne entschieden (Comm. Bruxelles, 28.04.1983, R.D.C. 1984, 57). Die Verwendung dieser Begriffe vertrage sich auch dann nicht mit dem Charakter einer Garantie, die eine autonome und abstrakte Verpflichtung darstelle, wenn es in der Garantie heiße, das Zahlung auf erstes schriftliches Anfordern zu leisten sei. Die Entscheidung wurde allerdings durch das Berufungsgericht Brüssel aufgehoben. Es genüge, wenn die Unabhängigkeit vertraglich geregelt sei, auch wenn gleichzeitig Begriffe verwendet würden, die die Bürgschaft betreffen. Diesbezüglich herrscht in der belgischen (CA Bruxelles 03.04.1987, J.L.M.B. 1987, 810; CA Anvers 13.10.1982, JCB. 1982, 642) und französischen (Cass.civ., 08.12.1987, D. 1988, 240) Rechtsprechung Einigkeit.

2. Typische Klauseln

Die folgenden Klauseln sind typisch :

  • « à première demande de votre part, et sans faire valoir d’exception ni d’objection résultant du contrat de base » (« sans réserve ni restriction »)
  • « … sans pouvoir différer le paiement ou soulever de contestation pour quelque motif que ce soit. »
  • « … indépendamment de la validité et des effets dit contrat … »
  • « Nous nous engageons irrévocablement par la présente à vous payer, indépendamment de la validité et des effets juridiques du contrat en question, à première demande de votre part et sans faire valoir d’exception ni d’objection résultant dudit contrat, tout montant jusqu’à concurrence de ……………… contre remise d’une demande de paiement écrite de votre part attestant que …………………( débiteur principal) n’a pas rempli ses obligations ou ne les a pas exécutées conformément aux modalités du contrat ci-dessus mentionné. »

Eine Formulierung der Art : „Wir zahlen die von dem Garantiegeber geschuldeten Beträge auf erstes Anfordern sollte vermieden werden“ (« nous payerons à première demande les sommes dues par le donneur d’ordre …… »), da sie den Anschein erweckt, die Zahlungsverpflichtung (also die Erfüllung der Garantie) hänge von dem Beweis ab, dass der Garantiegeber tatsächlich Schuldner der geltend gemachten Beträge ist, was für eine Bürgschaft charakteristisch ist.

3. Missbräuchliche Inanspruchnahme

Das Anfordern einer Garantie ist dann missbräuchlich, wenn ein Recht in einer Weise ausgeübt wird, die deutlich die Schranken seiner normalen Ausübung durch eine sorgfältige und gewissenhafte Person überschreitet (TPI Bruxelles, 03.09.1993, Revue de Droit Commercial 1994, 1126).

Das einfache Berufen auf die Nichtigkeit ist unzureichend, um die Erfüllung der Garantie zu verhindern. Allein eine ausgesprochene und offenkundige Nichtigkeit in aller Augen kann diesen Effekt haben, mit der Maßgabe, wo der ordnungsgemäß informierte Garant in der Lage ist, die manifeste Missbräuchlichkeit der Inanspruchnahme feststellen kann. Der Bankier, der sich enthaften will und der die Nichtigkeit der Operation in einem Augenblick behauptet, wo die Solvenz seines Klienten in Gefahr ist, obwohl er von dem Nichtigkeitsmangel von Beginn an wusste, verletzt das legitime Vertrauen des Dritten und begründet seine Haftung (CA Liège, 15.09.1995, Revue Pratique des Sociétés Civiles et Commerciales 1995, 416).