Ein Handwerk kann in Deutschland nur ausüben, wer dafür eine besondere Befähigung besitzt. Die Fähigkeit allein reicht nicht. Zugang findet nur, wer eine staatliche Zulassung nachweisen kann. Innerhalb der Europäischen Union bestehen erheblich geringere Anforderungen. Artikel 59 Absatz 1 EG-Vertrag (=Art. 49 neu EG-Vertrag) bestimmt:

Die Beschränkungen des freien Dienstleistungsverkehrs innerhalb der Gemeinschaft für Angehörige der Mitgliedstaaten, die in einem anderen Staat der Gemeinschaft als demjenigen des Leistungsempfängers ansässig sind, werden während der Übergangszeit nach Maßgabe der folgenden Bestimmungen schrittweise aufgehoben. In der Neufassung des Art. 49 Abs. 1 EG-Vertrag heißt es nicht mehr, daß die Beschränkungen auzuheben sind, sondern daß sie verboten sind.

Hinzuzufügen ist, dass die Richtlinie 1999/42/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 7. Juni 1999 ein Verfahren zur Anerkennung der Befähigungsnachweise für die unter die Liberalisierungs- und Übergangsrichtlinien fallenden Berufstätigkeiten in Ergänzung der allgemeinen Regelung zur Anerkennung der Befähigungsnachweise (ABl. L 201, S. 77) regelt.

In Deutschland wird der freie Dienstleitungsverkehr im Bereich des Handwerks durch die Handwerksordnung (im Folgenden: HwO) eingeschränkt. Berufszulassung und die Berufsausübung sind streng reglementiert. Gemäß § 1 Absatz 1 Satz 1 HwO ist der selbständige Betrieb eines Handwerks nur den in der Handwerksrolle eingetragenen natürlichen und juristischen Personen und Personengesellschaften gestattet. Diese Eintragung entspricht der Erteilung einer gewerblichen Erlaubnis zur Ausübung dieser Tätigkeit.

Gemäß § 7 Absatz 1 Satz 1 HwO wird in die Handwerksrolle … eingetragen, wer in dem von ihm zu betreibenden Handwerk oder in einem diesem verwandten Handwerk die Meisterprüfung bestanden hat. Für die Eintragung in die Handwerksrolle ist also nach § 7 Abs. 1 Satz 1 HwO eine bestandene Meisterprüfung Voraussetzung. Zur Meisterprüfung wird in der Regel nur zugelassen, wer eine Gesellenprüfung und die mehrjährige Tätigkeit als Geselle nachweist (§ 49 HwO). Juristische Personen können nach § 7 Abs. 4 Satz 1 HwO in die Handwerksrolle eingetragen werden, wenn sie einen Betriebsleiter anstellen, der die Voraussetzungen für die Eintragung in die Handwerksrolle erfüllt. Entsprechendes gilt für eine Personengesellschaft.

In Ausnahmefällen ist eine Eintragung in die Handwerksrolle auch ohne abgelegte Meisterprüfung möglich, und zwar durch:

  • Anerkennung gleichwertiger Prüfungen (§ 7 Abs. 2 HwO),
  • Ausnahmebewilligungen bei Nachweis der notwendigen Kenntnisse und Fähigkeiten und
  • Vorliegen eines Ausnahmegrundes (§ 8 HwO) oder für
  • Angehörige der EU-Mitgliedstaaten (§ 9 HwO)

Nach § 8 Absatz 1 Satz 1 HwO ist in Ausnahmefällen … eine Bewilligung zur Eintragung in die Handwerksrolle (Ausnahmebewilligung) zu erteilen, wenn die zur selbständigen Ausübung des von dem Antragsteller zu betreibenden Handwerks notwendigen Kenntnisse und Fertigkeiten nachgewiesen sind. In der Praxis gibt die Empfehlung der Handwerkskammer den Ausschlag für die Erteilung der Ausnahmebewilligung. Dies hat dazu geführt, daß Ausnahmebewilligungen sehr restriktiv erteilt werden.

§ 9 HwO ermächtigt das Bundeswirtschaftsministerium, durch Rechtsverordnung zu bestimmen, unter welchen Voraussetzungen Staatsangehörigen der anderen Mitgliedstaaten der Europäischen Union eine Ausnahmebewilligung zur Eintragung in die Handwerksrolle außer in den Fällen des § 8 Absatz 1 HwO zu erteilen ist. Aufgrund dieser Vorschrift erließ der Bundeswirtschaftsminister die Verordnung über die für Staatsangehörige der übrigen Mitgliedstaaten der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft geltenden Voraussetzungen der Eintragung in die Handwerksrolle (BGBl. 1966 I, 469; nachfolgend EWG-Handwerk-Verordnung). Durch die EWG-Handwerk-Verordnung wurden die Artikel 3 und 4 Absätze 2 und 3 der Richtlinie 64/427 in deutsches Recht umgesetzt.

Die Gesetzesänderungen von 1994 und 1998 haben lediglich für die bestehenden Handwerksbetriebe Erleichterungen gebracht. So darf jetzt der Fliesenleger auch Wände mauern und Estrich verlegen, der Maler darf Gipsen und Verputzen und Fahrzeuge lackieren, der Dachdecker darf Dachstühle aufschlagen und der Zimmerer Dächer eindecken.

Nach ständiger Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes verlangt Artikel 59 EG-Vertrag (alt) nicht nur die Beseitigung jeder Diskriminierung des in einem anderen Mitgliedstaat ansässigen Dienstleistenden aufgrund seiner Staatsangehörigkeit, sondern auch die Aufhebung aller Beschränkungen – selbst wenn sie unterschiedslos für inländische Dienstleistende wie für solche aus anderen Mitgliedstaaten gelten -, sofern sie geeignet sind, die Tätigkeiten des Dienstleistenden, der in einem anderen Mitgliedstaat ansässig ist und dort rechtmäßig entsprechende Dienstleistungen erbringt, zu unterbinden, zu behindern oder weniger attraktiv zu machen (Urteile vom 25. Juli 1991 in der Rechtssache C-76/90, Säger, Slg. 1991, I-4221, Randnr. 12, vom 9. August 1994 in der Rechtssache C-43/93, Vander Elst, Slg. 1994, I-3803, Randnr. 14, vom 28. März 1996 in der Rechtssache C-272/94, Guiot, Slg. 1996, I-1905, Randnr. 10, vom 12. Dezember 1996 in der Rechtssache C-3/95, ReisebüroBroede, Slg. 1996, I-6511, Randnr. 25, vom 9. Juli 1997 in der Rechtssache C-222/95, Parodi, Slg. 1997, I-3899, Randnr. 18, und vom 23. November 1999 in den Rechtssachen C-369/96 und C-376/96, Arblade u. a., Slg. 1999, I-8453, Randnr. 33).

In dieser Hinsicht stellt es eine Beschränkung im Sinne des Artikels 59 EG-Vertrag dar, wenn einem Unternehmen, das in einem Mitgliedstaat der Europäischen Union ansässig ist und in einem anderen Mitgliedstaat als Dienstleistender eine handwerkliche Tätigkeit ausüben möchte, die Verpflichtung zur Eintragung in die Handwerksrolle des letztgenannten Mitgliedstaats auferlegt wird (EuGH, Urteil vom 3. Oktober 2000 in der Rechtssache C-58/98, Randnr. 34). Das deutsche Verfahren zur Zulassung ausländischer “Handwerksbetriebe” verstößt auch unter Berücksichtigung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes gegen den EG-Vertrag (EuGH, Urteil vom 3. Oktober 2000 in der Rechtssache C-58/98, Randnr. 47).

Es reicht mithin aus, daß ein Deutscher die geringeren Anforderungen eines Nachbarstaates ausnutzt, um dort Berufserfahrung zu sammeln. Er kann dann unter Umgehung der deutschen Meisterprüfung Zugang zum deutschen Markt für Handwerksleistungen begehren. Dies wird weiterhin dadurch erleichtert, daß etwa die englische Rechtsordnung geringere Anforderungen an die Kapitalausstattung von Handwerksbetrieben stellt. Hierzu finden sich Hinweise in dem Beitrag zur Gründung einer Niedrigkapitalgesellschaft.

Es bleibt abzuwarten, wie die Bundesrepublik Deutschland mit der zitierten EuGH-Rechtsprechung umgehen wird.