I. Einführung

Die Grundstücksbewertung hat auch in Frankreich eine große Bedeutung, wenngleich sie z.B. in der Zwangsversteigerung von Grundstücken entbehrlich ist. So können z.B. die Parteien eines Grundstückskaufvertrages ein konkretes Mißverhältnis zwischen Leistung und Gegenleistung rügen und es kann bei groben Abweichungen 1) die Aufhebung des Kaufvertrages verlangt werden. Für diesen Fall bestimmt Art. 1675 CC 2) , daß der Grundstückswert zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses zu ermitteln sei, ohne allerdings Bewertungsmaßstäbe auszuformulieren. Der Beweis des Mißverhältnisses zwischen Leistung und Gegenleistung ist vor Gericht zu führen und wird durch ein Sachverständigengutachten erbracht, das die einstimmige Aussage dreier Sachverständiger enthalten muß (Art. 1678 CC). Die Gerichte sind jedoch nicht an das Gutachten gebunden 3) . Sie sind frei, eine ihnen angemessen erscheinende Ermittlungsmethode anzuwenden. Oftmals nehmen sie Bezug auf die Rechtsprechung der französischen Gerichte in Enteignungsangelegenheiten, die von Gesetzes wegen über die Höhe von Enteignungsentschädigungen zu entscheiden haben, wenn es keine gütliche Einigung gibt 4). Aber auch im Bereich der Grundstücksenteignung aus öffentlichem Interesse haben sich keine tragenden gesetzlichen Wertermittlungsmaßstäbe gebildet, denn der Code de l´expropriation gibt kein Wertermittlungsverfahren vor. Der Richter entscheidet allein. Dabei muß er ggf. auf Vergleichswerte Rücksicht nehmen 5) . Erst mit Inkrafttreten des Gesetzes Nr. 99-532 hat die Grundstücksbewertung für die Emission von Schuldverschreibungen wirkliche Bedeutung erlangt. Mangels wirklicher einschlägiger gesetzlicher Regelung ist auf Erfahrungswerte und die Praxis der Wertermittlung abzustellen. Eine Sammlung von Vergleichswerten, auf die zurückgegriffen werden könnte, etwa entsprechend den Sammlungen der Gutachterausschüsse bei den Gemeinden, besteht nicht. Es existieren auch keine Bodenrichtwerte. Grundlagen zur Wertermittlung finden sich aber in der”Charte de l´expertise en évaluation immobilière”, die am 4. Januar 2000 von namhaften französischen Organisationen 6) verabschiedet wurde, und im Bericht der Expertengruppe der Commission des Operations de Bourse (COB) vom 3. Februar 2000. Konkrete Vorschriften zur Wertermittlung bei Hypothekenkrediten werden von dem ”Comité de règlementation bancaire et financière” erlassen. Der Wert einer Immobilie soll nach Art. 94 I Gesetz Nr. 99-532 sorgfältig ermittelt werden und jede Spekulation ausschließen.

Die Wertermittlung soll auf der Basis der dauerhaften Charakteristika des Gebäudes, der üblichen und lokalen Marktsituation, der aktuellen und der möglichen zukünftigen Nutzung des Gebäudes geschehen. Der Wert soll schriftlich in klarer und transparenter Weise festgestellt werden; er entspricht höchstens dem Marktwert (valeur vénale). Für die Wertermittlung kleinerer Einheiten, die bis zu maximal 500.000 Euro kosten, besteht eine vereinfachte Wertermittlungsmöglichkeit 7). Die Wertermittlung soll durch einen unabhängigen Sachverständigen geschehen 8) .

II. Zum Wertbegriff

In Frankreich sind ausweislich der ”Charte de l´expertise en évaluation immobilière” verschiedene Grundstückswerte von Bedeutung. Unterschieden wird zwischen dem Verkehrswert (valeur vénale), dem marktüblichen Ertragswert (valeur locative de marché) 9) , dem Gebrauchswert (valeur d´utilité) 10) , Wiederbeschaffungswert (coût de remplacement), der Einbringungs- oder Einlagewert (valeur d´apport), der vereinbarte Preis (prix de convenance), der Zwangsverwertungswert (valeur de vente forcée), der Neuwert, der Versicherungswert und der Wert einer Mietsache (valeur de droit au bail).

1. Überwiegend von Bedeutung ist der Verkehrswert einer Immobilie. Der Verkehrswert wird als der in Geld auszudrückende Wert definiert, der zu einem bestimmten Zeitpunkt nach den Gesetzen von Angebot und Nachfrage durch Veräußerung erzielt werden kann 11) .

2. Der Zwangsverwertungswert einer Immobilie ist keine feste Größe, denn die Gläubiger legen den Wert im Zwangsversteigerungsverfahren freihändig fest (mis à prix), wenn auch in neuerer Zeit gewisse Überprüfungsmöglichkeiten seitens des Versteigerungsgerichts vorgesehen sind. Üblicherweise liegt der Versteigerungswert erheblich niedriger als der Verkehrswert. Art. 1674 ff. CC (lésion) können in der Zwangsverwertung nicht eingewandt werden. Die Enteignung ist kein Fall der Zwangsverwertung.

III. Grundsätze der Verkehrswertermittlung

Der Verkehrswert (valeur vénale) wird entweder im Vergleichswertverfahren (méthode dite d´évaluation par comparaison) oder im Ertragswertverfahren (méthode par le revenu) ermittelt.

1. Das Vergleichswertverfahren

Das Vergleichswertverfahren besteht darin, den Verkehrswert einer Immobilie vermittels des Vergleiches mit anderen Veräußerungen vergleichbarer Objekte zu ermitteln. Der Vergleich kann entweder direkt oder in bezug auf bestimmte Parameter (wie z.B. Nutzfläche, Anzahl der Räume etc.) erfolgen. Es bestehen unterschiedliche Methoden der Vergleichswertermittlung.

Der Grundstückswert wird nach seiner Eigenart und Lage beurteilt. Die bestehende Bebauung ist zu berücksichtigen. Immer nach objektiven Kriterien und unter Berücksichtigung vergleichbarer Bebauung, ermittelt man den Grundstückswert.

Die Gerichte legen oftmals einen freien Grundstückswert zugrunde, von dem sie einen Abschlag für die bereits bestehende Bebauung vornehmen, wenn es an Vergleichswerten fehlt.

2. Das Ertragswertverfahren

Das Vergleichswertverfahren erlaubt es den Verkehrswert zu ermitteln, in dem man den Grundstücksertrag mit einem Kapitalisierungskoeffizienten multipliziert. Die Methode eignet sich nur für vermietete Objekte 12) .

Der Ertrag besteht in den tatsächlich erzielten Mieten. Es ist der Gesamtbruttoertrag zu ermitteln (revenu brut). Der Nettoertrag (revenu net) ist um die Kosten (Steuern, Abgaben, Versicherungsbeiträge, jährliche Abschreibung, Verwaltungskosten, Hausmeister etc.) zu reduzieren. Mithin ist der Nettoertrag nach Auffassung der Praxis kein geeigneter Bewertungsmaßstab.

Der Kapitalisierungsfaktor wird in einem Prozentsatz ausgedrückt, der die Beziehung zwischen Immobilienertrag und Verkehrswert wiedergibt. Er muß mit der größten Sorgfalt ermittelt werden und ist durch einen Sachverständigen ausführlich zu begründen. Der Faktor hängt von der jeweiligen wirtschaftlichen Lage, der Lage des Objekts, der Ausstattung des Objekts, der Nutzung und dem Zustand des Objektes ab. Die Gerichte stehen dieser Ermittlungsmethode eher skeptisch gegenüber 13) .

3. Méthode par actualisation des flux futurs

Diese in den Vordergrund tretende Methode berücksichtigt die wirtschaftliche Entwicklung der Immobilie über einen Zeitraum von etwa sechs bis zehn Jahren. Das Objekt wird so behandelt, als werde es nach diesem Zeitraum veräußert. Grundlage ist der Nettoertrag des letzten Jahres. In die Betrachtung fließen die vertraglich gebundenen Mieten und die Erträge aus Grantiedepots ein. Die üblichen Kosten werden berücksichtigt. Der Kapitalisierungsfaktor wird unter Berücksichtigung des Anlagerisikos ermittelt, d.h. prognostiziert.

IV. Wertbeeinflussende rechtliche Faktoren

Die Immobilienbewertung läßt sich nicht unabhängig von den rechtlichen Grundlagen des französischen Immobilienrechts bewerkstelligen. Lage und Ausstattung einer Immobilie, die wirtschaftliche Ertragslage und Vergleichswerte unterliegen den Einflüssen des französischen Grundstücks- und Mietrechts sowie des öffentlichen Baurechts. Das französische Immobilien-, Miet- und Baurecht unterscheidet sich grundlegend von den deutschen Bedingungen. Eine Harmonisierung der Rechtsgrundlagen auf der Grundlage der Europäischen Verträge steht aus. Das französische Grundstücksrecht ist im wesentlichen im Code Civil normiert. Das Grundbuchsystem ist gut entwickelt, hat aber nicht immer die selbe Bedeutung wie in Deutschland. Es bestehen umfängliche Sonderregelungen, insbesondere zum Schutze der Verbraucher. Der Immobilienverkauf ist in weiten Bereichen Verbraucherrecht. Finanzierungsregelungen und kaufvertragliche Schutzbestimmungen greifen ineinander. Das Recht der dinglichen Sicherheiten fußt auf grundlegend unterschiedlicher Rechtsauffassung. Das Institut der Grundschuld ist unbekannt. Andererseits können außerhalb des Grundbuches sog. Privilegien entstehen, die als Hypotheken im Range vertraglich vereinbarten Hypotheken vorgehen können.

1. Was eine Immobilie ist, definiert Art. 517 CC. Eine Sache ist danach Immobilie ihrer Natur nach, ihrem Zweck nach (par destination) oder aufgrund des Objektes, auf dem sie lasten. Grundstücke und Gebäude sind ihrer Natur nach Immobilien (Art. 518 CC). Wer auf seinem Grundstück ein Gebäude errichtet, wird bis zum Beweis des Gegenteils auch als Eigentümer des Gebäudes vermutet (Art. 553 CC). Das Wohnungseigentum hat eine Sonderregelung erfahren (Code de la Copropriété).

Zuverlässige Auskunft über die Eigentums- und Belastungsverhältnisse gibt das französische Grundbuch. Es ist dem deutschen Grundbuch allerdings nicht vergleichbar. In jeder größeren Gemeinde findet sich ein Grundregisteramt. Es führt ein Hauptregister, das aus drei Publikationsregistern besteht. Im Inskriptionsregister werden die Hypotheken und Immobiliarprivilegien eingetragen. Das Transkriptionsregister verwahrt die Transkriptionsunterlagen, während Zwangsvollstreckungsvermerke im Pfändungsregister publiziert werden. Daneben existieren praktisch bedeutsame Nebenregister, und zwar die Grundkartei (fichier immobilier) und das Eintragungsregister (registre de dépôts). Über die Eigentumsverhältnisse an einem Grundstück gibt die Eigentümerkartei (fiches personnelles) als Teil der Grundkartei Auskunft. Daneben bestehen die Parzellenkartei und die Grundstückskartei. Die Nebenregister verweisen jeweils auf das Hauptregister.

Das Grundeigentum ist belastbar. Die Sicherungsrechte haben im 3. Buch des Code Civil eine Regelung gefunden. Das Grundeigentum kann durch Hypotheken (Art. 2114 ff. CC) und sog. Privilegien (Art. 2095 ff. CC) belastet werden. Hypotheken können durch Gesetz, Vereinbarung und Urteil entstehen (Art. 2116 CC). In der Praxis überwiegt die vertragliche Hypothek (Art. 2124 ff. CC). Sie setzt einen notariellen Vertrag voraus, in dem die zu besichernde Forderung und den Belastungsgegenstand genau zu bezeichnen ist (Art. 2129 CC). Allgemeinverbindlich wird die Hypothek erst, wenn sie im Hypothekenregister eingetragen ist. Daneben können die Art. 640 ff. CC das Grundeigentum in Form von gesetzlichen Dienstbarkeiten im Privatinteresse der Nachbarn inhaltlich beschränken (servitudes qui dérivent de la situation des lieux). Zu nennen sind u.a. die Pflicht, Wasser des höherliegenden Grundstücks aufzunehmen (Art. 640 CC), Brunnenrechte (Art. 642 CC), Zugangsrechte und Nutzungsrechte an schiffbaren Flüssen und für Reparaturarbeiten an Wegen und Straßen (Art. 650 CC). Auch existieren öffentlich-rechtliche Eigentumsbeschränkungen, z.B. in Gestalt von Dienstbarkeiten zugunsten des Straßenbaues und der Entwicklung von Siedlungs- und Industriegebiete.

2. Gemäß Art. L 110 Code de l´Urbanisme ist das französische Staatsgebiet das gemeinschaftliche Vermögen der Nation. Die Gemeinden sind die Verwalter und sollen die Nutzung des Bodens harmonisieren. Der Code de l´Urbanisme regelt die Planungsinstrumente. Nach Art. L 122-1 ff Code de l´Urbanisme setzen die ”schéma directeurs” oder ggf. ”schéma de secteurs” die fundamentalen Orientierungspunkte der Bodennutzung. Sie regeln die Zweckbestimmung des Bodens unter Berücksichtigung der Bedürfnisse, der Natur und der Infrastruktur. Die Regelung der Einzelheiten ist den ”plans d´occupations des sols” vorbehalten. Sie bestimmen auf der Grundlage der ”schéma directeurs” oder ggf. ”schéma de secteurs” die generellen Bedingungen der Bodennutzung. Sie können insbesondere die Bebauung bestimmter Flächen verbieten. Die Bebaubarkeit einer Fläche kann ggf. durch eine Bauvoranfrage (certificat d´urbanisme) festgestellt werden (Art. L 410-1 Code de l´Urbanisme). Zur Bebauung muß allerdings dann noch eine konkrete Baugenehmigung eingeholt werden (Art. 421-1 Code de l´Urbanisme). Zuständig sind regelmäßig die Gemeinden.

V. Hinweise und weitere Fragen

Der Beitrag wird demnächst in vollständiger Fassung in der Zeitschrift “Grundstücksmarkt und Grundstückswert (GuG) erscheinen. Für weitere Fragen stehen wir Ihnen gerne zur Verfügung.

Wir helfen Ihnen

bei der Gründung von Unternehmen in Frankreich
beim grenzüberschreitenden Markteintritt
bei der Beratung in Bausachen
bei der Gestaltung von Verträgen über den Erwerb und den Verkauf von Immobilien
in bezug auf rechtliche Fragen bei der Finanzierung von Vorhaben
Erläuterung der Marktbedingungen


Rechtsanwalt Dr. Hök ist Autor:
Das Individualbaurecht in Frankreich, Zeitschrift für deutsches und internationales Baurecht (ZfBR) 2000, 80 ff.
Müller/Hök, Einzug von Auslandsforderungen, 3. Auflage, Göttingen
Müller/Hök/Schulze, Deutsche Vollstreckungstitel im Ausland, Neuwied 1989 ff.

Weitere Veröffentlichungen zum Baurecht, Internationalen Privatrecht, Grundstücksrecht etc. können Sie unter der Seite “Veröffentlichungen” nachsehen.

Für weitere Informationen stehen wir Ihnen gerne zur Verfügung.

1) Wurde der Verkäufer um mehr als 7/12 des Immobilienwertes geschädigt, d.h. wenn der Käufer die Immobilie für weniger als 5/12 ihres Wertes erworben hat, kann der Verkäufer den Kaufvertrag aufheben lassen. Der Käufer kann allerdings einwenden, er wolle den Mehrpreis entrichten .Das Recht ist fristgebunden und besteht zwei Jahre ab Abschluß des Kaufvertrages (Art. 1674 bis 1676 CC).

2)Code Civil

3)Cour Cass. Civ., 11.01.1977, D. 1977 IR. 176

4)Article L 13-1 Code de l´expropriation:
Les indemnités sont fixées, à défaut d’accord amiable, par un juge de l’expropriation désigné, pour chaque département, parmi les magistrats du siège appartenant à un tribunal de grande instance.

5)Vgl. Article L 13-16 (Loi n° 85-729 du 18 juillet 1985 art. 3 iv Journal Officiel du 19 juillet 1985)

6)Association des Ingenieurs Concepteurs et Réalisateurs Industriels AFICRI, Association Francaise des Sociétés d´Expertise Immobilière AFREXIM, Chambre des Experts immobiliers de Belgique CIBEX, Chambre des Experts immobiliers de France FNAIM CEIF-FNAIM, Compagnie des Experts en Estimations Immobilières près de la Cour d´Appel de Paris CEEICAP, Compagnie Nationale des Experts Judiciaires en Estimations Immobilières CNEJ, Confédaration des Experts Agricoles, Fonciers de l´Immobilier CEAFI, Conseil Supérieur du Notariat-institut Notarial de l´Immobilier CSN, Féderation Nationale des Chambres d´Experts et experts Judiciaires Évaluateurs Fonciers Immobiliers et Commerciaux EEFCI, Insitut Francaise de l´Expertise Immobilière IFEI, Ordre des Géomètres-Experts OGE

7)Art. 2 règlement n° 99-10 vom 09.07.199 relatif aux sociétés de crédit foncier

8)Art. 4 règlement n° 99-10 vom 09.07.199 relatif aux sociétés de crédit foncier

9)Es handelt sich um den auf ein Jahr betrachteten theoretischen Ertrag einer Immobilie

10)Er entspricht dem Wert, den ein Unternehmen für die Nutzung des Objekts ausgeben würde

11)Dalloz/Gestion de l´immeuble/Barret, Vente d´immeuble construit, 1998, Rn. 8851

12)CA Paris expro., 04.11.1983, AJPI. 1984, 165

13)vgl. TGI Paris expro., 06.11.1987, AJPI 1988, 227; CA Paris expro., 07.07.1989, JCP 1989 IV 273